1. Ich denke, ich muЯ so zwцlf Jahre alt gewesen sein,
Und wieder einmal war es Zeugnistag.
Nur diesmal, dacht’ ich, bricht das Schulhaus samt Dachgestьhl ein,
Als meines weiЯ und hдЯlich vor mir lag.
Dabei war’n meine Hoffnungen keineswegs hoch geschraubt,
Ich war ein fauler Hund und obendrein
Hцchst eigenwillig, doch trotzdem hдtte ich nie geglaubt,
So ein totaler Versager zu sein, ein totaler Versager zu sein.
2. So, jetzt ist es passiert, dacht’ ich mir, jetzt ist alles aus,
Nicht einmal eine Vier in Religion.
Oh Mann, mit diesem Zeugnis kommst du besser nicht nach Haus, sondern allenfalls zur Fremdenlegion.
Ich zeigt’ es meinen Eltern nicht und unterschrieb fьr sie,
Schцn bunt, sah nicht schlecht aus, ohne zu prahl’n.
Ich war vielleicht ‘ne Niete in Deutsch und Biologie,
Dafьr konnt’ ich schon immer ganz gut mal’n!
3. Der Zauber kam natьrlich schon am nдchsten Morgen raus,
Die Fдlschung war wohl doch nicht so geschickt.
Der Rektor kam, holte mich schnaubend aus der Klasse raus,
So stand ich da, allein, stumm und geknickt.
Dann lieЯ er meine Eltern kommen, lehnte sich zurьck,
Voll Selbstgerechtigkeit genoЯ er schon
Die Maulschellen fьr den Betrьger, das miЯrat’ne Stьck,
Diesen Urkundenfдlscher, ihren Sohn.
4. Mein Vater nahm das Zeugnis in die Hand und sah mich an
Und sagte ruhig: «Was mich anbetrifft,
So gibt es nicht die kleinste Spur eines Zweifels daran,
Das ist tatsдchlich meine Unterschrift.»
Auch meine Mutter sagte, ja, das sei ihr Namenszug.
Gekritzelt zwar, doch mьsse man verstehn,
DaЯ sie vorher zwei groЯe, schwere Einkaufstaschen trug.
Dann sagte sie: «Komm, Junge, laЯ uns gehn.»
5. Ich hab noch manches lange Jahr auf Schulbдnken verlor’n
Und lernte widerspruchslos vor mich hin,
Namen, Tabellen, Theorien von hinten und von vorn,
DaЯ ich dabei nicht ganz verblцdet bin!
Nur eine Lektion hat sich in den Jahr’n herausgesiebt,
Die eine nur aus dem Haufen Ballast:
Wie gut es tut zu wissen, daЯ dir jemand Zuflucht gibt,
Ganz gleich, was du auch ausgefressen hast!
6. Ich weiЯ nicht, ob es rechtens war, daЯ meine Eltern mich
Da rausholten und — wo bleibt die Moral?
Die Schlauen diskutier’n, die Besserwisser streiten sich,
Ich weiЯ es nicht, es ist mir auch egal.
Ich weiЯ nur eins, ich wьnsche allen Kindern auf der Welt,
Und nicht zuletzt natьrlich dir, mein Kind,
Wenn’s brenzlig wird, wenn’s schiefgeht, wenn die Welt zusammenfдllt, Eltern, die aus diesem Holze sind,
Eltern, die aus diesem Holz geschnitten sind.